Symposium
Zum Internationalen Symposium
Alliance, Infinity, Love
Das Internationale Symposium der 9. Triennale der Photographie Hamburg 2026 ist ein Raum für Austausch und für dialogische Akte von Großzügigkeit, die verschiedene Daseinsweisen bezeugen. Es erkundet, wie Fotografie und andere kulturelle Praktiken zu Handlungen anregen, die von Verantwortung, Liebe, Anerkennung und Gerechtigkeit geleitet sind. Durch die Verknüpfung von philosophischen, performativen und kritisch reflektierenden Perspektiven beleuchtet das Symposium die Beziehung zwischen kultureller Freiheit und ethischer Verantwortung.
Das Symposium soll den theoretischen Grundstein für die Triennale legen, die im Juni 2026 stattfindet und zwei verschiedene konzeptuelle Ausgangspunkte hat: der erste ist das künstlerische Aufeinandertreffen von eden ahbez, einem als Pionier der Hippie-Kultur gefeierten Außenseiter, und Nat King Cole, dem afroamerikanischen Jazzkünstler. 1948 ging aus dieser transkulturellen Verbindung der weltweite Hitsong Nature Boy hervor – ein poetisch-radikaler Ausdruck ethischen, an Liebe orientierten Handelns. Der zweite Themenbereich ist die Philosophie von Emmanuel Levinas: Auf seinem Verantwortungsbegriff beruhen die Kernthesen der 9. Triennale.
Das Symposium führt durch mehrere Zeitlichkeiten und artikuliert neue globale Zukünfte: solche, in denen Grund- und Freiheitsrechte sowie kulturelle Freiheiten im Zentrum stehen und wo Andersartigkeit nicht nur wahrgenommen, sondern durch Solidarität anerkannt und real zur Geltung gebracht wird.
Das Programm setzt sich aus Vorträgen und Gesprächen zu den Leitkonzepten der Triennale – Verbundenheit, Unendlichkeit und Liebe (Alliance, Infinity, Love) – in Fotografie und anderen künstlerischen Praktiken zusammen. Es versteht diese als dynamische Kräfte, die es zu fördern und mobilisieren gilt, um den sozialen und politischen Zusammenhalt zu stärken und neue Formen der Koexistenz zu initiieren und zu imaginieren.
Das Event hat am 7. und 8. November 2025 stattgefunden.
Eindrücke
Programm
Tag 1: 7. November 2025
Auditorium, Deichtorhallen Hamburg
(Deichtorstraße 1-2)
19:00 – 19:30
Begrüßung und kuratorische Einführung
Dirk Luckow (Intendant, Deichtorhallen Hamburg), Carsten Brosda (Senator für Kultur und Medien) und Mark Sealy (Künstlerischer Leiter 9. Triennale)
19:30 – 20:30
Die konkrete Utopie der Menschenwürde – Ein Dialog zwischen Kunst und Menschenrechten
Keynote von Wolfgang Kaleck
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, so lautet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, dies kommt dem Motto der diesjährigen Triennale näher, als es auf den ersten Blick scheint. Wolfgang Kaleck wird skizzieren, warum diese konkrete Utopie der Menschenrechte, dieser wünschenswerte Zustand für alle Menschen in der Welt, gerade in den heutigen, dystopisch anmutenden Zeiten Sinn macht. Menschenwürde und universelle Gerechtigkeit dürfen nicht mehr länger exklusive Angelegenheit von internationalen Institutionen, Juristen und Staatsmännern bleiben. Diese Fragen gehen uns alle an – die Künste und Kulturinstitutionen können dabei eine besondere Rolle spielen. Denn Utopien werden nur dann Wirklichkeit, wenn Menschen daran glauben, Menschen daran arbeiten und Menschen sich einen anderen, besseren Zustand dieser Welt vorstellen können. Genau diese Möglichkeits- und Imaginationsräume können die Kunst und Fotografie eröffnen.
20:30 – 20:45
Wolfgang Kaleck im Gespräch mit Mark Sealy
20:45 – 21:00
Q&A und Schlusswort von Mark Sealy
Hinweis: Die Veranstaltungssprachen am 7. November sind Deutsch und Englisch.
Tag 2: 8. November 2025
Halle 424, Oberhafenquartier
(Stockmeyerstraße 43)
10:00 – 10:30
Anmeldung und Kaffee
10:30 – 11:00
Begrüßung von Mark Sealy
11:00 – 11:45
Against Empathy
Keynote von Aruna D’Souza
Eine zentrale Strategie, wenn es um die Notwendigkeit geht, Solidarität über Bruchlinien der Differenz hinweg zu schaffen, ist die Förderung von Empathie. Aber wenngleich Empathie als individuelle Charaktereigenschaft wichtig sein mag, stellt dieser Ansatz in der Politik eine Falle dar: Er setzt eine persönliche Transformation voraus oder nimmt diese gar als Ersatz für kollektive Bemühungen. In Zeiten, wo der Faschismus in politischen Systemen weltweit erstarkt, ist es umso wichtiger zu verstehen, dass Empathie als Werkzeug zum Schmieden von Bündnissen eher eine Verzögerungstaktik ist – jedenfalls entkräftet sie die Dringlichkeit unmittelbaren Handelns. Was aber wäre, wenn Fürsorge und das Erhalten und Retten von Leben eine Verpflichtung wären? Eine primäre ethische Verantwortung, die auch in Hinblick auf jene gilt, die kategorisch verschieden sind von uns? Wie würde Solidarität, die auf Sorgearbeit basiert, aussehen? Was würde sie uns abverlangen?
11:45 – 12:30
Aruna D’Souza und Wolfgang Kaleck im Gespräch mit Mark Sealy, anschließend Q&A
12:30 – 13:30
Mittagspause
13:30 – 14:15
McGuffin
Vortrag von Naeem Mohaiemen
In dem umfangreichen Interview, das François Truffaut mit Alfred Hitchcock führte (und das 1966 in Buchform unter dem Titel Le Cinéma selon Alfred Hitchcock erschien), wird der „McGuffin“ als erzählerischer Kniff beschrieben, der die Protagonist*innen zu weiteren Handlungen vorantreibt, sich aber später als Bagatelle oder Ablenkung herausstellt (Tiger in New York oder Löwen im schottischen Hochland beispielsweise). Für jene, die die immer schon unterdrückte kommunistische Bewegung Bangladeschs verfolgten, stand außer Frage, dass sich die gealterten Überlebenden im Exil den linken Bewegungen ihrer neuen europäischen Heimaten anschließen würden. Auch dort sollten sie überwacht werden – wie sonst wüsste man, dass man wichtig ist? Die langsam ans Licht kommenden, freigegebenen Akten erwiesen sich als Enttäuschung – oder vielleicht als produktiver McGuffin.
14:15 – 14:30
Naeem Mohaiemen im Gespräch mit Mark Sealy, anschließend Q&A
14:30 – 14:45
Tee-/Kaffeepause
14:45 – 15:45
Gewebe der Solidarität: Gesten, Kämpfe, Allianzen
مشترى هلال Moshtari Hilal, சிந்துஜன் வரதராஜா Sinthujan Varatharajah und امة لحبيب Emma Lehbib im Gespräch
Was bedeutet es, heute Solidarität zu praktizieren? Wie entsteht sie, und wann bilden sich Allianzen über Unterschiede hinweg? Warum erhalten manche Kämpfe Aufmerksamkeit, während andere unsichtbar bleiben? In ihrem neuen Band Hierarchien der Solidarität reflektieren சிந்துஜன் வரதராஜா (Sinthujan Varatharajah) und مشترى هلال (Moshtari Hilal) über Solidarität als Akt des Widerstands, der sich sowohl in alltäglichen Gesten als auch in globalen Kontexten manifestiert. Mit ihnen spricht die Aktivistin امة لحبيب (Emma Lehbib), die in der sahrauischen Diaspora in Deutschland aufwuchs und Internationales sowie Europäisches Recht studierte. Ihre Perspektive lädt dazu ein, darüber nachzudenken, wie biografische, materielle oder professionelle Bedingungen Solidaritäten prägen – im Unterschied zu kulturellen Ausdrucksformen oder sozialem Engagement. Gemeinsam wird erörtert, wie Solidaritäten entstehen, bestehen oder zerbrechen – und was es heißt, Solidarität in einer Welt ungleicher Anerkennung und persistenter Hierarchien zu leben.
15:45 – 16:15
Naeem Mohaiemen, Moshtari Hilal, Sinthujan Varatharajah und Emma Lehbib im Gespräch mit Mark Sealy, anschließend Q&A
16:15 – 16:45
Tee-/Kaffeepause
16:45 – 17:45
Without Justice the Rest Cannot Exist
Lecture Performance von nora chipaumire
Musik von tyroneisaacstuart
Was steht im Zentrum unserer Begegnung? Welche Rolle spielt unser Körper, wenn wir versuchen, Begriffe wie Alliance, Infinity und Love im Angesicht des*der Anderen zu verarbeiten? Können wir diese großen Begriffe losgelöst von Gerechtigkeit denken?
Die Lecture Performance wird in Zusammenarbeit mit der ersten Tanztriennale organisiert, die im Juni 2026 in Hamburg stattfindet. Passend zu den Schwerpunkten des Symposiums, haben Tanztriennale und Triennale der Photographie eine der wichtigsten Stimmen der freien internationalen Performanceszene eingeladen: nora chipaumire.
Getrieben vom Kampf für Gerechtigkeit und Frieden schlägt nora chipaumire einen Seitenpfad ein und kehrt zu ihrer Arbeit Nehanda zurück, einer Oper über den Prozess und die Hinrichtung eines führenden Freiheitskämpfers der Shona in Zeiten britischer Besatzung. chipaumires Beitrag lädt dazu ein, den aktuellen Diskurs über anhaltende koloniale Verbrechen zu erweitern – im Denken mit Haile Selassie (Kaiser von Äthiopien), Bob Marley und Ideen der Schwarzen Freiheitsbewegungen.
Anschließend Gespräch mit Monica Gillette, Künstlerische Co-Leitung Tanztriennale 2026
17:45 – 18:30
Triage
Vortrag / Lesung von Claudia Rankine
Mit ihrem neuen literarischen Projekt Triage und in Antwort sowohl auf die Themen der 9. Triennale als auch auf die gegenwärtige politische Realität lädt Claudia Rankine uns dazu ein, uns mit der Idee auseinanderzusetzen, dass wir „[…] zu einem eigentlichen Selbst kollabiert sind, unserem Selbst des 21. Jahrhunderts, diesem Selbst, das all jenes umfasst, das uns menschlich macht: die Fragilität, die Resilienz, die Verletzlichkeit, die Erschöpfung, die Angst, das Mitgefühl, die Versäumnisse, die Demütigungen, die Kämpfe, die Schuld, die Fassungslosigkeit. Beides, ‚der Ausweg‘ und ‚der Kollaps‘ sind zur Realität geworden. Über kurz oder lang müssen wir uns mit der Idee abfinden, dass genau hier, in dieser Zerstörung, im Mangel, mit diesem Nichts – dass es hier ist, in diesem Niemandsland, wo Leben stattfindet.“
18:30 – 18:45
Mark Sealy im Gespräch mit Claudia Rankine, anschließend Q&A
18:45 – 19:00
Schlusswort von Mark Sealy
19:00 – 20:00
Abschluss / Get-together
Moderation: Siri Keil
Hinweis: Die Veranstaltungssprache am 8. November ist Englisch.
Speaker*innen
Biografien
nora chipaumire wurde 1965 im damaligen Umtali, Rhodesien geboren (das heutige Mutare, Simbabwe). Sie ist das Produkt einer kolonialistischen Schulbildung von Black native Africans – die in sogenannten „Group B“-Schulen stattfand – und interessiert sich für den Erwerb und die Weitergabe von Wissen außerhalb normierter Parameter.
Aruna D’Souza ist eine kanadische Schriftstellerin und Kunstkritikerin, die in New York lebt. Sie ist Autorin von Whitewalling: Art, Race & Protest in 3 Acts (2018) und Imperfect Solidarities (2024). Sie war Mitkuratorin der Retrospektive Lorraine O’Grady: Both/And im Brooklyn Museum im Jahr 2021 und Herausgeberin von Lorraine O’Grady: Writing in Space, 1973-2019. Ihre Kunstkritiken erscheinen in The New York Times, für die sie regelmäßig schreibt, und in 4Columns.
Moshtari Hilal (geboren 1993 in Kabul) ist Künstlerin, Forscherin und Kuratorin mit Sitz in Hamburg. Sie ist Mitbegründerin des Kollektivs AVAH (Afghan Visual Arts and History) sowie des Forschungsprojekts CCC (Curating Through Conflict with Care). In ihrer Arbeit, die sowohl künstlerische als auch diskursive Formate umfasst, setzt sie sich mit Schönheit, Hässlichkeit, Scham und Macht auseinander. Hilal studierte Islamwissenschaft und Politikwissenschaft mit Schwerpunkten auf Gender Studies, dekoloniale Studien und Cultural Studies in Hamburg, Berlin und London.
Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt und gründete 2007 die weltweit aktive, juristische Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin und ist seitdem deren Generalsekretär. Er ist Autor mehrerer Bücher u. a. von Die konkrete Utopie der Menschenrechte. Ein Blick zurück in die Zukunft (2021) und Law versus Power (2018). Der mehrfach ausgezeichnete Kaleck (u.a. Hermann Kesten-Preis des PEN-Zentrums Deutschland) arbeitet seit Jahren in zahlreichen Projekten mit der Akademie der Künste in Berlin, dem Haus der Kulturen der Welt, der Magnum Foundation, der Galerie Autograph und anderen Kulturinstitutionen zusammen.
Emma Lehbib (geboren in Walsrode) ist Aktivistin und Tochter sahrauischer Eltern, aufgewachsen mit ihren Erzählungen von Krieg, Vertreibung und Aktivismus. Sie hat Internationales und Europäisches Recht studiert. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Infrastrukturprojekte in der besetzten Westsahara, völkerrechtliche Fragestellungen, Flüchtlingslager, Exil und Identität sowie auf Themen wie Solidarität, Antikolonialismus und dekoloniales Denken.
Naeem Mohaiemen arbeitet mit Film, Fotografie, Zeichnung und Essays und interessiert sich für Formen der Utopie bzw. Dystopie. Seine Kernthemen sind Familie, Grenzen, Architektur und Aufstände, sein Fokus liegt dabei auf dem südasiatischen Raum sowie auf der islamischen Welt nach 1945. Sein Film Two Meetings and a Funeral (2017), der bei der Documenta 14 uraufgeführt wurde, regte zahlreiche Diskussionen zur Verwendung des Begriffs der Blockfreiheit (engl. „nonalignment“) im zeitgenössischen Kunstkontext an.
Claudia Rankine hat fünf Gedichtbände veröffentlicht, darunter Citizen: An American Lyric (2014) und Don’t Let Me Be Lonely: An American Lyric (2004). Ebenfalls von ihr erschienen sind die drei Theaterstücke HELP (2020), The White Card (2018) und The Provenance of Beauty (2009). Ihr Essayband Just Us: An American Conversation ist 2020 erschienen, ihr jüngstes Werk TRIAGE erscheint 2026 bei Graywolf Press. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbands The Racial Imaginary: Writers on Race in the Life of the Mind (2015) und hat 2016 The Racial Imaginary Institute mitbegründet. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Jackson Poetry Prize des Verbands Poets & Writers und einem Fellowship der Guggenheim Foundation sowie der MacArthur Foundation. Rankine war „Chancellor“ der Academy of American Poets und unterrichtet seit 2021 im Studiengang Creative Writing der New York University. Sie lebt in New York.
Sinthujan Varatharajah (geboren in Jaffna) lebt als unabhängige*r Forsche*in und Essayist*in in Berlin. Varatharajah studierte Politische Geographie und arbeitet zu den Themen Staatenlosigkeit, Mobilitäten und Geographien der Macht(losigkeit), mit einem besonderen Fokus auf Infrastrukturen und Architekturen. Über mehrere Jahre war Varatharajah zudem bei verschiedenen Menschenrechtsorganisationen in London und Berlin engagiert.
Partner
Das Internationale Symposium Alliance, Infinity, Love wurde in Kooperation mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Tanztriennale 2026 präsentiert.
Eventpartner waren die Halle424 und der Berliner Bahnhof.